Tipps & Tricks des Rollenspiels
Live-Rollenspiel ist sehr schwer. Die Leistung, einen Zettel mit Punkten und kurzen Notizen, ein Schriftstück mit der Vorgeschichte und einige Briefe in einen lebendigen Charakter zu verwandeln, das ist die große Herausforderung. Jede noch so kleine Störung kann die Atmosphäre eines Abends zerstören. Dies können sowohl andere Spieler sein, die minutenlang Regeln diskutieren, wie es kleinere Details sein können: Chips-Tüten, die auf dem Tisch stehen, die Frage eines Spielers, wann man montags zur Uni muss oder sogar der Ort, an dem die Session stattfindet, wenn wieder einmal keine coole Spiel-Location aufzutreiben war. Um den schwierigen Wechsel von deinem ‚Selbst‘ zu deinem Charakter zu schaffen, solltest du bereits vor der Session einige Zeit aufwenden. Noch ehe du mit deinem neu aufgestellten SC zum ersten Treffen von uns gehst, solltest du dir überlegen, ob der Charakter für dich überhaupt spielbar ist: Bist du GEWILLT, dich total in diesen Charakter zu versenken? In seine Träume, seine Angst, sein Leid, seinen Hass, seine Triebe, seinen Wahnsinn? Manche Charaktere sehen auf dem Papier besser aus, als sie beim Spiel sind. Ein ‚Boah, ist der Charakter cool‘ beim Ausfüllen des Bogens ist meist der Anfang vom Untergang: Wir spielen nicht Monopoly. Du musst deinen Charakter verstehen, und was vielleicht wichtiger ist: Du musst ihn mögen, wenn nicht lieben. Selbst wenn der Charakter ein abscheuliches Monster ist, muss er eine Saite in dir zum klingen bringen, etwa in der Art wie „das könnte ich selbst sein, wenn mir passiert wäre, was diesem Charakter wiederfahren ist“ oder „ich weiß nicht, ob ich den Charakter liebe, aber ich kann so gut verstehen, was er empfindet und warum er all diese Dinge denkt und tut.“ Seine Art zu denken und zu empfinden muss dir schlüssig sein, sonst wirst du ihn nie zum Leben erwecken können – und gerade dies, das LEBEN des eigenen SCs, ist das Höchste, was wir dir bieten können. In diesem Kapitel wollen wir dir einige Tipps geben können, wie du dies erreichen kannst. Nimm sie als Hinweise an, aber klammere dich nicht an sie. Jeder hat seinen eigenen Weg zu einem Spiel, dass ihm maximalen Spaß machen wird.
Vor der Session Vor einer Session solltest du dich zunächst einmal zurücklehnen und dir vergegenwärtigen, WAS für ein Treffen das überhaupt sein soll. Ist aus Gründen der Kurzfristigkeit der Spielort-Bekanntgabe nichts Offizielles verhängt worden, wende dich an den Besitzer des Spielortes (wenn es ein Privater ist) oder frage die SL nach Hintergründen zu jenem Treffpunkt und warum sich die Vampire dort versammeln. Sobald du weißt, was auf dich zukommt, verbringe einige Minuten damit, deinen Charakter im Geist durchzugehen. Stell‘ dir Szenen seines Lebens vor, wie sie vor deinem Inneren Auge vorüberziehen. Betrachte vor allem die Details: Die feucht glänzende Straße, das Gefühl des kühlen Windes, die kleine Narbe unter dem Auge deines Erschaffers. Dies müssen keine vorher ausformulierten Dinge sein – denk dir einfach spontan Szenen aus, aber belaste dich nicht mit Tonnen von Einzelinfos, die du akribisch zu erinnern versuchst. Dabei würdest du dich nur verkrampfen. Versuche, dir das Alter deines Kainiten zu vergegenwärtigen. Wie dachten und handelten die Menschen seiner Zeit? Wie muss ihm diese Welt erscheinen? Studiere dir kleine Macken deines Charakters ein – eine bestimmte Bewegung oder Art zu sprechen etwa. Louis im Film „Interview mit einem Vampir“ hatte immer die Fingerspitzen aufeinandergelegt. Gerade, wenn man mehrere Charaktere besitzt, helfen solche Gesten, die SCs voneinander zu trennen. Schließe die Augen und fühle verschiedene Dinge – die Luft, das Gefühl deiner Kleidung, den Teppich. Sensibilisiere deine Gefühle. Nimm bewusst wahr. Beim Schminken und Ankleiden kannst du bereits versuchen, „In-Time“ zu gehen – zumindest im Winter, wenn es früh dunkel wird. Versuche, die Momente kurz nach Sonnenuntergang zu erleben, den Verlust des Sonnenlichtes zu realisieren, Nacht um Nacht. Spiele eine Musik, die zu deinem SC passt. Lass dir Zeit. Stell‘ dir vor, wie der Hunger nach dem Erwachen sich über deine Glieder legt. Auf dem Weg zum Spielort solltest du auf jeden Fall einen kleinen Spaziergang einlegen. Betrachte die Gesichter der Menschen um dich. Stell‘ dir vor, wie du Nacht um Nacht von einem neuen Unbekannten trinken musst – auch heute. Denke darüber nach, wie schwer es für dich als junger Vampir war, einem Unbekannten auch nur nahe zu kommen. Ihn zu beißen. Sein Blut und seine Lebenskraft in dich aufzunehmen. Ist die ungewohnte Intimität mit deinem Opfer schon zur Routine geworden? Macht es dir noch etwas aus, einem Menschen sein Blut zu nehmen, ihn anzusprechen mit dem festen und einzigen Vorsatz, sein Blut zu trinken, ihm Komplimente zu machen oder Nichtigkeiten seines Lebens zu hören, die Gedanken fest auf seinen Hals geheftet? Was ist aus dir geworden? Denke darüber nach, wie viel Blut schon deine Kehle hinabrann. Wie erscheinen dir diese Menschen um dich jetzt? Bist du noch einer von ihnen? Oder etwas völlig anderes? Realisiere, dass das Wort „Kainit“ eine Lüge derjenigen ist, die an den biblischen Kain als den Vater aller Vampire (bzw. „Blutsverwandten“) glauben. Der „Kainit“ glaubt an Kain, der Christ an Christus. Kein Christ aber wäre so verblendet, sich nicht als Mensch zu betrachten. Und kein Kainit kann im Inneren verbergen, dass er ein wandelnder Toter ist, ein Wiedergänger, ein VAMPIR. Wir spielen VAMPIRE, und dieses Wort sollte stets in deinem Herzen verankert sein: Die Camarilla-Vampire TUN nur menschlich. Sie SIND aber keine Menschen. Und das ist ihre Tragik und ihre Lebenslüge. Lausche der Musik der Stadt. Ist sie deinem Charakter vertraut oder fremd? Die Gerüche, das Leuchten der Lampen, die grellen Werbelichter, seit Neuestem die infernalisch gleißenden Video-Walls – wie sahen die Städte deiner Kindheit aus, und vermisst du das stille Zischen der Lampen, das Klopfen der Hufe? Magst du die heutige Zeit? Warum? Warum hasst du sie? Vor dem Spielort – wo bereits GRUNDSÄTZLICH IN-TIME-ZONE ist – solltest du dir soviel Zeit nehmen, wie du brauchst, um vollends in die Rolle zu kommen. Spaziere ein wenig – vielleicht triffst du erst auf einen einzelnen anderen Kainiten. Vielleicht lauert aber auch ein Schatten auf dich… WICHTIG: Geh IMMER Inplay, wenn du am Spielort bist, auch wenn du der Erste bist!
Auf der Session Versuche stets, das Vorhandensein anderer Spieler zu vergessen, und selbst solche Eindrücke zu vermeiden. Bei den Abenden treffen VAMPIRE aufeinander, und sämtliche Zeugnisse unserer „realen“ Existenz sind ein Störfaktor. Dazu zählen stürmische Begrüßungen ebenso wie lange Verabschiedungen und beständiges Orangensafttrinken ebenso wie eine Tüte Chips in der Hand. Dazu zählen Out-Time-Witze, dazu zählen alle Dinge, woran man „dich“ erkennen kann – sei es deine besondere Art zu lachen, zu sprechen oder Humor zu beurteilen. Ein Ancilla, der sich verspricht und dann „Oh, shit“ sagt und beginnt zu lachen, ist nicht glaubwürdig. Gehörst du zu den Personen, die sehr leicht zum Lachen zu bringen sind, solltest du vielleicht sogar auf Ancilla-Rollen verzichten. Versuche stets, deine Vor- und Nachteile auszuleben. Ein klassisches Beispiel ist der Nachteil „Angst vor Kreuzen“. Wenn Du ANGST vor Kreuzen hast, dann sagst du nicht zu einem Blutsverwandten, der ein Kreuz trägt: „Könntest du das bitte wegpacken?“. Du hast ANGST, und machst dich LÄCHERLICH damit! Du weichst zurück oder fauchst, du wendest dich blitzschnell ab oder wirst sogar richtig aggressiv – wie ein in die Enge getriebener Hund. Gleiches gilt für deine Disziplinen: Sage nicht, dass du Beherrschung anwendest – SPIELE es. Äußere nicht mit der Begeisterung einer Saftschnecke, dass du jetzt Geschwindigkeit aktivierst – bewege dich schnell, schreie den Namen GESCHWINDIGKEIT hinaus. Versuche, jede Facette deines Charakters so expressiv wie möglich darzustellen, denn das allein ist ROLLENSPIEL! Betrachte deine Handlungen, selbst deine Art, dich zu bewegen, vom Standpunkt eines Beobachters aus (z.B. vor einem Spiegel). Was würdest du im Kino von diesem Vampir denken? Würdest du ihn glaubhaft finden? Nur keine Panik! Es klappt nicht immer alles optimal, und niemand erwartet, dass du perfekt bist. ABER: Es wird erwartet, dass du so gut bist, wie du sein KANNST. Solltest du Probleme mit dem Rollenspiel haben, suche Hilfe bei den Spielern, deren Rollenspiel DICH überzeugt hat. Sie werden sich sicherlich unter der Woche mit dir treffen und dir helfen. Im Verlaufe des Abends wirst du feststellen, dass – im Vergleich zu Tischrollenspielen oder Film und Fernsehen – sehr wenig „passiert“. Das liegt natürlich daran, dass allabendliche Werwolfattacken ermüdend wirken, und ein Treffen unter Vampiren ohnehin meist eine scheinbar ruhige Gelegenheit ist – bei der aber jedes Wort so gut überlegt ist wie ein Schwerthieb. Und oft ebenso tödlich. In einem Raum ohne sichtbare „Action“ sind dennoch mehrere Plots in der Schwebe, und Kommunikation ist der Schlüssel zu ihnen. Garbage in – Garbage out: Nur wenn du dich der Action öffnest, wird diese dich auch erreichen. Bei allem Gefühl für die Stille der Vampirtreffen gilt es aber, die absolute „No-Action“ zu verhindern. Neben der stummen Tragik des Vampirs sorgen äußere Stimuli für Spannung und Dramatik – Stimuli, die durchaus nicht ausschließlich von der SL kommen. JEDER Spieler sei eingeladen, die Atmosphäre des Abends am Leben zu halten und SELBST für Action zu sorgen – womit durchaus nicht Herumballern oder Sponti-Frenzies gemeint sind. Du musst keine Angst haben, dass du deinen Charakter in Gefahr bringst, weil du im Mittelpunkt stehst. Ganz im Gegenteil: Der Fokus des Spiels und der „Hero“ des Abends zu sein ist überaus reizvoll, und als Live-Rollenspieler hast du dich ja ohnehin schon als Exhibitionist geoutet. Also warum jetzt noch Zurückhaltung üben? Fühle dich herzlich eingeladen, selbst Plots zu spinnen oder Auftritte mit anderen Spielern zu organisieren. Wie wäre es mit dem überraschenden Auftritt deiner (In-Time) Schwester, die dich in den Fängen einer Sekte wähnt? Wie wäre es mit einem alten Bekannten von dir, der die hoffnungslos verlorene Blutpuppe eines anderen Kainiten ist? Oder umgekehrt: Spiele an einem Abend doch einfach selbst einen „One-Shot“, etwa ein Herdenmitglied eines Toreadors, der genug hat von seiner tristen Existenz. Oder – um Spontan-Aktionen zu nehmen – lege dir einige Aktionen parat, die du zur Bereicherung deines Rollenspiels und dem der anderen einstreuen kannst, etwa die plötzliche Realisation, WAS du eigentlich geworden bist, oder eine unsichtbare Stimme, die dir etwas Entsetzliches ins Ohr geflüstert hat. Alles, was für solche Spontan-Plots oder Inszenierungen mit anderen Spielern nötig ist, ist eine Anmeldung der Aktion bei der SL, damit diese anderen Spielern Auskünfte geben kann, was deren Charaktere über die Aktion herausfinden können (ist immer doof, wenn man als SL „Keine Ahnung“ sagen muss und somit einen Gegenplot im Keim ersticken muss). Nimmst du dir diese Regeln zu Herzen und LEBST deinen Charakter, wirst du dich niemals über Langeweile zu beklagen haben.
Zwischen den Sessions Was sich nahezu IMMER lohnt, ist, sich zwischen den Sessions die Mühe zu machen, Mails und vor allem echte Briefe zu schreiben (wer das Porto scheut, kann sie ja zum nächsten Treffen mitbringen, sie kommen dann aber erst an, wenn du sie übergibst). Viele Plots lassen sich extrem durch Nachrichtenaustausch fördern, etwa durch „Geheime Berichterstattung“ an einen Ahn, Aufrechterhaltung von Höflichkeiten zu einem NSC oder SC oder einfach Manipulation. Sei dir darüber im Klaren, dass sich nur sehr wenige andere Spieler trauen bzw. sich die Arbeit machen, einem Ahnen aufgefordert oder unaufgefordert Nachrichten, Berichte oder Höflichkeiten zukommen zu lassen. Indem du einem Ahnen zuarbeitest, dich dienstbar erweist und Treffen organisierst, kannst du in deiner Clanshierarchie aufsteigen und – wichtiger – wenn einmal einer deiner Pläne schief geht oder du selbst Opfer einer Intrige wirst, hast du den ultimativen Trumpf des Vampire Live Rollenspiels im Ärmel: Der dickste Ahn macht immer den Stich – Sollte dies alles als Argument zur Überwindung der eigenen Faulheit nicht ausreichen, so bieten Briefe immer die Möglichkeit, einen tieferen Einblick in den eigenen Charakter und – bei Antwort – einen Einblick in den anderen Kainiten zu erhalten. Nicht zuletzt bieten Briefe die Möglichkeit, intimen Kontakt und Verknüpfungen zu anderen Charakteren aufzubauen. Und je mehr Charakteren du verbunden bist, desto dichter das Geflecht der Plots und Intrigen, die dich berühren und deinen Charakter im Spiel beschäftigen. Aktionen zwischen den Sessions wie Beschattung, Telefone anzapfen u.ä. sind ebenfalls immer lohnenswert, jedoch sollte man von „Assassin-Aufträgen“ absehen. Sofern als irgend möglich (und möglich ist es immer) sollten Aktionen, die sich weiter erstrecken als das Sammeln und Weiterleiten von Informationen, bei Sessions stattfinden. Oh, es sei denn, DU hast Lust, das nächste Mal von drei SLs zu einer Tischrollenspielsession eingeladen zu werden, weil du von 70 Ghulen mit Nuklearraketen attackiert wirst.
Tipps für Intriganten Wir kommen zu dem Abschnitt, der sich an die ‚Macher‘ unter den Spielern richtet. Wie gesagt, verbergen sich Deine Freunde und Feinde nicht nur unter den NSCs der SLs, sondern allen dich umgebenen Charakteren. Aus diesem Grunde ist es ebenso falsch, einen SL-Charakter überzubewerten, wie es falsch ist, einen Spieler-Charakter zu unterschätzen. Vampire sind ständig dabei, Intrigen zu spinnen (siehe auch Antagonist/Protagonist weiter unten) – alleine schon, um zu überleben. Hier finden sich einige Hinweise, wie DEIN Plot von Erfolg gekrönt sein kann (eine Garantie gibt es freilich nicht).
Viele Intriganten starten einen Plot, indem sie einen offenkundigen Mangel einer Situation feststellen und eine einfache Maßnahme erdenken, wie dieser Missstand zu beheben ist – üblicherweise die Absetzung eines Amtsinhabers oder die Vernichtung eines Gegners. Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Plot aber ist, jede Aktion auf die daraus folgenden Reaktionen zu durchleuchten. Wenn Billy Brujah dir im Weg ist und es dir gelänge, ihn von seinem Posten zu heben, wer würde ihm nachfolgen? Würde Billy den Clan Brujah mobilisieren können, es dir heimzuzahlen, oder hat er gar den Ahnen Bartholomaios Brujah auf seiner Seite? Alle Eventualitäten müssen sorgfältig durchgespielt werden – inklusive der Eventualität, dass dein Plan reibungslos funktioniert. Nicht jedes Ziel, das im Spiel angestrebt wird, zahlt sich nachher auch aus! Maximum-Shit-Rule Es ist leider so, dass viele an und für sich gute Plots an Details scheitern. Die Maximum-Shit-Rule besagt, dass ALLES, was schief gehen KANN, schief gehen WIRD, und dass du darauf vorbereitet sein solltest, indem du IMMER einen Ausweichplan und IMMER einen Sündenbock hast. Betrachte deine eigenen Pläne – so toll und genial du selbst sie finden magst – sehr, sehr kritisch. Hätte ein anderer diesen Plot, wie würdest DU ihn entlarven und was könntest der Intrigant dann dagegen tun?
Ein Plot kann auch an Informationen scheitern, die du bis dato nicht kanntest. Geschult durch übermäßigen Konsum von TV-Krimis könnte dein SC z.B. denken, dass tote Zeugen nicht reden. FALSCH. Die Disziplin Nekromantie gestattet es, tote Seelen zurückzurufen, den Geist eines Toten zu befragen – und diese sind SEHR kooperativ bei der Aufklärung ihres Todes. Egal wie – aber du musst versuchen, so viel als geht über die Kräfte der Kreaturen dieser Welt der Dunkelheit herauszufinden. Nicht aber dadurch, dass du alle Regelwerke auswendig lernst, sondern dadurch, dass du IN-TIME alle Details über dein ‚Opfer‘ und seine Verbündeten (wer ist das überhaupt?) sammelst.
Es empfiehlt sich IMMER, wenigstens EINEN Kainiten zu haben, auf den man im Maximum-Shit-Fall die Schuld abwälzen kann. Natürlich wissen die Ahnen i.d.R. recht genau, ob jemand Schuld hat oder nicht – aber wenn sie dir glauben WOLLEN, tun sie es auch. Um diese Voraussetzung zu schaffen, brauchst du zweierlei: Der ideale Prügelknabe hat folgende Eigenschaften: Er ist etwas naiv, herzensgut und zu allen freundlich, unternimmt selbst keine Plots und hat demzufolge auch niemanden (außer ein paar Neonaten, die ihn irgendwie ganz nett finden) hinter sich. Ein einflussreicherer Prügelknabe kann dennoch verurteilt werden, wenn du „Beweise“ seiner Schuld liefern kannst, z.B. durch erkaufte Zeugenaussagen anderer SCs. Schön, dann stehst du halt in ihrer Schuld, aber du hast deinen Allerwertesten gerettet.
Viele Spieler nehmen sich für ihren ersten Plot VIEL zu viel vor. Mit dem ersten Plot gleich den Prinzen zu stürzen – oder auch „nur“ einen Ahnen – ist vollkommen illusorisch. Die machen das schon seit Hunderten von Jahren, und KEIN alter Kainit hat durch FREUNDLICHKEIT überlebt. Je älter der Kainit, desto gerissener, unbarmherziger und raffinierter ist er. Als erste Plots solltest du versuchen, EINEN anderen SC unter Kontrolle zu bekommen, mit diesem dann einen weiteren usw. Lieber abwarten, als zu viel riskieren!
Aufmerksamkeit und das Wissen um die Gesetze der Camarilla sind die Schlüssel zum Erfolg. Durch nichts kannst du so viel so schnell erreichen wie durch das konsequente Nutzen jeder Chance. Die meisten Chancen entstehen durch das Fehlverhalten anderer SCs und NSCs – und glaub‘ mir, das kommt wahnsinnig häufig vor. Erwischt du z.B. einen Verbrecher auf frischer Tat – warum denn gleich zum Prinz rennen und Zeter und Mordio schreien? Gewährst du dem Kainiten den Mantel der Verschwiegenheit (ggf. mit Absicherung), so steht er in deiner Schuld und du hast ihn am Wickel! Tja, und wo er doch gerade schonmal Diablerie begangen hat, da gibt’s so einen Kainiten, der dir nicht passt, und da könnte er doch … okay, wir sind quitt, und du hast mich nie gesehen.
Jede Fraktion lässt sich für Deine Zwecke missbrauchen, solange du ihnen DEINE Ziele als IHRE Ziele verkaufst. Eine Behauptung hier, ein Gerücht da, ein gefälschter Beweis dort – und schon hast du eine Bande blutgeiler Randalierer zu deinen Diensten, unterdessen du dich zurücklehnst und ein Pfeifchen rauchst. Das ist Jyhad: die anderen machen lassen, und selbst im Verborgenen bleiben. Tja, und man sollte nie die Fähigkeit des Verhandelns unterschätzen. Jeder hier will etwas, und eine Hand wäscht die andere. Du magst zwar vielleicht z.B. für die lokalen Anarchen ein korruptes Ventrue-Schwein sein, aber biete ihnen etwas an, was sie wollen (etwa Insider-Information aus den Ventrue-Treffen oder die Zusage, bei einem wichtigen Antrag in ihrem Interesse zu sprechen), und schon kooperieren sie mit dir.
Okay, also nehmen wir an, du wirst in Ketten vor den Prinz gebracht, unschuldig oder nicht, und du hast dummerweise auch keinen Prügelknaben zur Hand (Maximum Shit). In diesem Falle hilft dir nur noch deine profunde Kenntnis deines Gegenübers weiter. Welche Art der Anrede verlangt er, hasst er Schleimer oder erwartet er es sogar, und vor allem: wovor hat er Angst. JEDER Ahn hat Angst. Wer älter geworden ist, hat schon so viel erlebt, weiß so gut um das Intrigenspiel Bescheid, dass er hinter jeder Ecke einen Mörder sieht. Zu viele Bälle jongliert er, und zuviel Angst hat er vor seinem eigenen Fall. Gehst du die Sache richtig an, bleibst du eiskalt und ruhig und packst den Ahn dann bei seiner Paranoia („Sagt, mein Prinz, wer versucht Euch zu betrügen, indem er mich als Schuldigen darbringt? Wer ist Euer Feind?“), so kann es sein, dass der Ahn DIR bald mehr glaubt als jedem anderen.
Tja, und die allerletzte Chance ist dann noch, alles zuzugeben und um Gnade zu winseln – mit dem Versprechen, fortan für den Ahn zu arbeiten. Lass‘ dich blutbinden, wenigstens lebst du noch – und Dein Rollenspiel ist gerade interessanter geworden. Welcome to DoT!
Schwäche als Chance Der letzte Punkt hat es schon angesprochen: Es wird dir beim Rollenspiel passieren, dass deinem SC irgendetwas Übles widerfährt. Auf einen Umstand wie einen erzwungenen Blutbund, den Sturz in die Ungnade, die Verstümmelung, den Ausruf der Blutjagd oder eine Sabbat-Initiierung oder Ähnliches kannst du grundsätzlich zweierlei Art reagieren: A) Du gehst zur SL und schreist Zeter und Mordio, fühlst dich falsch behandelt, hast zuhause eine Regel gefunden, wonach alles ganz anders verlaufen wäre, weist auf deinen Gefahrensinn, deinen Schutzengel, deine mangelnde Spielerfahrung oder eine Disziplin hin, die du im Moment vergessen hattest, die ‚deinem Charakter aber garantiert nicht entfallen wäre‘, forderst einen Replay, hast doch gar nichts gemacht etc. Dem Urheber deiner Misslichkeit gegenüber bist du Out-Time feindselig eingestellt, machst ihn bei jeder Gelegenheit mies, bist bei weiteren Treffen nicht da oder gibst den Charakter auf oder spielst so erbärmlich, das einem schlecht werden kann – ja, du versuchst sogar, den anderen die Freude am Spiel zu vermiesen, da sie auch genauso wenig Spaß haben wie du. B) Du reagierst IN-TIME darauf. Dein Vampir ist in diese entsetzliche Lage gekommen – was macht er nun? Anders als bei der von dir geplanten Hintergrundstory (wo du „deinem“ SC eine Katastrophe nach der anderen zugemutet hast) ist diesmal WIRKLICH etwas Ungeplantes passiert. Nimm es also an als eine weitere Charakterfacette wie jede andere in deiner Hintergrundstory, arbeite die Katastrophe in dein Charakterkonzept ein und beobachte, wie sich dein Charakter durch die Situation ändert. Der Offplay-Weg führt immer zum Offplay Frust.
Antagonist oder Protagonist? Die allermeisten Kainiten sind BÖSE – sofern man sich überhaupt anmaßen will, eine solch brutale Grenze zu ziehen. Beim Vampire Tischrollenspiel war alles klar: Der SL führte die ganzen NSC (böse, korrupte, ehrgeizige, ewig plottende Kainiten), unterdessen die SCs seiner Spieler, naja, eben irgendwie „gut“ waren: jung, unerfahren, sich an die menschlichen Werte klammernd, mit nichts im Kopf als dem nackten Überleben. Als Vampir wird man nicht alt, indem man freundlich ist. Auch der freundlichste Ahn hat sein Alter und seinen Rang NUR durch Rücksichtslosigkeit erworben. Legst DU einfach irgendeinen Kainiten um (SC oder NSC, gerechtfertigt oder nicht oder auch in Notwehr) hast Du sofort Unmengen neuer Feinde: Den Ahn, der sein Mentor war, vielleicht dessen Erschaffer, irgendeinen Prinzen, der dabei war, den Kainiten in Plots zu verstricken, den Clan des Kainiten etc. Um all diesen Gefahren zu begegnen, muss man selbst im Verborgenen bleiben, Intrigen spinnen und irgendwelche jungen Trottel (z.B. Deinen SC, einen Neonaten) die dreckige Arbeit machen lassen. Also: Die Mehrzahl der Kainiten ist BÖSE (= Antagonisten), einige wenige sind „GUT“ (= Protagonisten). GUTE Kainiten sind tragische Charaktere, die den Widernissen der sie umgebenden „bösen“ Welt begegnen und früher oder später an ihnen scheitern (Evil wins!). Gute Charaktere können ohne die sie umgebende MEHRZAHL von bösen Charakteren nicht funktionieren – es sei denn, ihr eigenes Leid ist SO groß (und wird so intensiv gespielt), dass dies alleine Stoff für 3 Romane bieten würde. Gut und böse ist bei VAMPIRE eine relative Sache, und selbst der gnadenloseste Intrigant HAT seine Gründe, so zu sein, wie er ist. Vielleicht geht er über Leichen, um ein überaus edles Ziel zum Wohle aller zu erreichen. Vielleicht hat er selbst so viel Leid ertragen müssen, dass er zerbrochen ist, dass er Rache üben will an „der Welt“. Vielleicht hat er einfach Angst. Antagonisten sind bei uns die „Macher“. Sie sind diejenigen, welche die Protagonisten und anderen Antagonisten mit „Plots“ versorgen, ihnen Fallen stellen und letztlich das NETZ DER LÜGE spinnen. Um einen „guten bösen“ Kainiten zu spielen, ist die Hintergrundgeschichte des Charakters von essentieller Wichtigkeit. Nichts ist öder oder platter als ein Vampir, der eben einfach böse ist, weil er böse ist. Die Gründe, sich vor den menschlichen Regungen zu verschließen und Plots zu spinnen, sind mannigfaltig, nicht zuletzt der nackte Kampf ums Überleben. Zugleich muss betont werden, dass der Tod anderer SCs nicht grundsätzlich Gegenstand der Plots sein sollte. Auch für den Spieler des Antagonisten ist es sowohl wesentlich reizvoller (weil schwieriger) als auch wesentlich SICHERER (da man alles außer Blutbund und Tod rückgängig machen kann), die anderen Kainiten mit anderen Mitteln als Vernichtung dazu zu bewegen, nicht mehr im Weg zu sein oder unwissentliche Sklaven zu werden. Aber zurück zum Hintergrund: VAMPIRE lässt die klassischen Denkschemata von gut und böse hinter sich. Es ist nicht mehr so einfach wie bei AD&D, wo es böse Monster und gute Menschen gab. Bei uns spielen wir ALLE Monster, Vampire eben. Die „Protagonisten“ sind diejenigen Kainiten, die sich an ihre Menschlichkeit klammern, die sich mit ihrer neuen Existenz nicht abfinden können oder wollen. Die Antagonisten hingegen haben gelernt, dass sie letztlich immer alleine stehen und die anderen nur falsche Freundlichkeit bieten – wie sie selbst (self-fulfilling prophecy der Misanthropie). „Grundsätzlich böse“ aber sind sie nicht, denn auch sie haben ihre Gründe. Einige Beispiele für Antagonisten seien kurz aufgeführt: Der Tyrann – Diese Antagonisten haben sich dem Schutz und der Förderung einer bestimmten Gruppierung verschrieben (Camarilla, Sabbat, Anarchen, Clan, Gruppe von Kainiten, Familie…). Dies kann durchaus eine „gute“ Gruppierung sein – aus seiner Sicht ist sie das auf jeden Fall! Jede Gruppierung bringt es mit sich, dass man andere Gruppierungen gegen sich hat – Intrigen-Material im Überfluss. Der Machthungrige – Einen gewissen Machthunger besitzt jeder. Der wahrhaft Machthungrige aber ist besessen davon. Dies kann z.B. aus einer intensiven Angst entstehen, denn jeder weiß, dass Ahnen zuerst diejenigen töten werden, deren Tod keinen Verlust darstellt. Es kann auch aus einer persönlichen Schwäche entstehen, etwa wenn derjenige nie anerkannt wurde oder glaubt, der Welt beweisen zu müssen, dass er existiert. Der Rächer – Kaum eine Emotion entfesselt so viel Energie wie Rache. Die Rache mag gerecht sein oder nicht, auf jeden Fall beschreitet der Rächer einen düsteren, einsamen Pfad. All seine Energie ver(sch)wendet er für seine Rache, Freundschaft oder Liebe lässt er nicht zu – oder er versucht es wenigstens. Besonders interessant ist die Form des „intellektuellen“ Rächers, desjenigen, der seinen Gegner erst um alles bringen will, ihm Status, Macht und Ansehen rauben will, bevor er ihn angreift. Oder die Rolle desjenigen, der so viel mitgemacht hat, zu dem das Leben so unfreundlich war, dass er die Welt an und für sich hasst und planlos nur noch das Glück der anderen vernichten will, da es ihm unerträglich ist, wenn andere etwas besitzen, was er selbst nie mehr besitzen kann. Der Spieler – Grundsätzlich ist dieser nicht böse – er hat nur ein unendliches Vergnügen daran, andere Leute in seinem Irrgarten, seinem Netz herumtapsen zu lassen. Er spielt alle gegeneinander aus und betrachtet das Leben als ein großes Spiel, als eine große Partie Schach oder einfach einen Witz. Viele – ja, fast alle Malkavianer und viele Ravnos gehören zu dieser Gruppe. Wer selbst keine Intrigen betreibt, bleibt schwach, und ist damit bevorzugtes Opfer als „Prügelknabe“ (s.d.), zumal einige Antagonisten grundsätzlich etwas gegen Freundlichkeit haben (z.B. Kainiten, die ein überaus negatives Bild der Welt haben und in deren Weltbild Nettigkeit nichts zu suchen hat). Um Ärger als Protagonist zu begegnen, bleiben 3 Wege: 1) Abfinden. Der SC kann von vorneherein als tragische Figur angelegt werden, deren Tod gleich mit eingeplant wurde. Es ist eine sehr intensive Rollenspielerfahrung, einen Kainiten durch verschiedene Stadien der Hoffnung, der Enttäuschung bis hin zum Ende zu führen – ich will sogar soweit gehen zu sagen, da diese Art von Charakter letztlich das Zentrum des gesamten VAMPIRE-Rollenspiels bildet. 2) Zurückhaltung. Ein ganz, ganz schlechter Weg. Viele Nosferatu (ich meine jetzt nicht SCs von uns, sondern den Clan ganz allgemein) verfolgen diesen Weg zwar, verkriechen sich bei Anzeichen von Ärger, aber für das Live-Rollenspiel ist dieser Weg ungemein langweilig. Schließlich steht dieser SC ja bei allen Aktionen außen vor und macht selbst nichts. Überleben wird er wahrscheinlich recht lange, aber was machst DU in der Zwischenzeit? 3) Intrige. Angriff ist die beste Verteidigung. Dies ist der Grenzpfad zwischen An- und Protagonist. Bei dem Versuch, „gut“ zu sein, dabei aber um des eigenen Überlebens willen bisweilen „böse“ Plots zu spinnen, ist sicherlich einer der rollenspielintensivsten Wege – VORAUSGESETZT, du betreibst diese inneren Konflikte auch und so, das andere davon Wind bekommen (Introvertiertheit hin oder her, aber wenn alle brummelnd voreinander sitzen, bringt das auch nichts).
Tragik Tragik ist essentieller Bestandteil des VAMPIRE-Rollenspiels, ja, des Vampirs an und für sich. Sie gilt gleichermaßen für Antagonisten und Protagonisten. Um sie aber zu erreichen, musst du über deinen Charakter Bescheid wissen, ihn von einem Blatt Papier mit Zahlen und Begriffen zu einem lebendigen (na ja) Wesen machen, mit TRÄUMEN, WÜNSCHEN, IDEALEN, ENTTÄUSCHUNGEN, SCHWEREN ENTSCHEIDUNGEN, VERLORENER LIEBE etc. – und (ACHTUNG:) Es reicht nicht aus, diese Begriffe wiederum nur irgendwo aufzuschreiben bzw. sie als Flaws zu „kaufen“, du musst sie LEBEN! Zum zweiten musst du – wie bereits gesagt – extrovertiert spielen, das heißt die anderen Spieler an den Konflikten in dir teilhaben lassen. Um Gottes willen aber nicht dadurch, dass du ihnen einfach alles erzählst, sondern durch ROLLENSPIEL. Trifft Dein SC auf einen Auslöser für seine Erinnerungen – z.B. ein SC, der einem alten Freund von dir unheimlich ähnlich sieht (und das kannst du als „dein eigener SL“ ja JEDERZEIT frei bestimmen) – so kannst du das Verschlossene deines Charakters ausbrechen lassen. Aufgerissene Augen, „unpassende“ emotionelle Ausbrüche, ein plötzliches, hysterisches Auflachen oder ein überstürztes (damit die interessierten Spieler es auch bemerken) Verlassen des Raumes, weil die Gewalt der Tränen droht hervorzubrechen, dies alles sind die Dinge, die letztlich ROLLENSPIEL bedeuten.
©Dieser Artikel stammt von Andreas Schroth aus der Domäne Berlin -MidnightDance-. |